Auslöser für Erkrankungen der Augenumgebung und der Augenhöhle (orbita) können eine Reihe von verschiedenen Ursachen sein: angeborene, traumatische, entzündliche, degenerative Veränderungen und Gewebsneubildungen. Derartige Prozesse können ihren Ursprung Bereich der Nase, Kiefernhöhlen oder Maulhöhle, im Gewebe der Augenhöhle selbst (Augenmuskeln, Drüsen, Gefäße, Fettpolster, Knochen) oder im Augapfel selbst haben. In Zusammenhang mit Erkrankungen der Augenhöhle liegt häufig ein Hervortreten des Augapfeld (Exophthalmus) und/oder ein Nickhautvorfall vor. Bei hinter dem Augapfel (retrobulbär) gelegenen Prozessen (Neoplasie, Entzündung, Knochenfrakturen) steht der Exophthalmus im Vordergrund und der retrobulbäre Druck ist erhöht. Ist der Prozess mehr von der Nickhaut oder der Nasenhöhle ausgehend oder ist die Stützfunktion des retrobulbären Gewebes vermindert (Dehydratation, Fett- und Muskelatrophie), dann sind ein Einsinken des Augapfels in die Augenhöhle (Enophthalmus), ein Nickhautvorfall und ein normaler bzw. verminderter retrobulbärer Druck vorhanden. Orbitale Erkrankungen sind beim Hund und insbesondere bei der Katze selten.
Angeborene Missbildungen
Katzenwelpe mit fehlendem Augapfel rechts und missgebildetem Auge links | Welpe mit missgebildeter Augenanlage links | Welpe mit Kryptophthalmus rechts und gesundem Auge links |
Anophthalmus/Kryptophthalmus
Dabei handelt es sich um eine sehr seltene Erkrankung meist beider Augen, bei der eine Fehldifferenzierung im embryonalen/fetalen Differenzierungsvorgang zu einer kompletten Missbildung des gesamten Augapfels geführt hat. Eine zu kleine Lidspalte, die meist von Bindehaut verschlossen ist lässt keinen Augapfel erkennen. Unter der Bindehaut findete man eine zu kleine knöcherme Augenhöhle , die noch Reste der degenerierten embryonalen Augenblase enthalten kann (inkompletter, degenerativer Anophthalmus). Eine Therapie der angeborenen Blindheit ist nicht möglich.
Mikrophthalmus
Seltene Erkrankung mit angeborenem zu kleinen Augapfel, zumeist in Kombination mit anderen Entwicklungsanomalien des inneren und äusseren Auges (komplizierter Mikrophthalmus). Eine rudimentäre Fähigkeit zur Erkennung von Licht und Dunkel kann vorhanden sein, ein normaler Sehvorgang ist nicht möglich. Eine Therapie der angeborenen (partiellen) Blindheit ist nicht möglich.
Enophthalmus
Enophthalmus tritt in der Folge von Schmerzen auf, ist aber unter Umständen auch auf den Verlust des retrobulbären Gegendrucks zurückzuführen, z.B. auf allgemeines Unwohlsein, Konditionsabfall, Unbehagen, Feline Dysautonomie (Syn. Key–Gaskell–Syndrom) oder bei Verlust der sympathischen Innervation (Horner Syndrom).
Als Folge von allgemeines Unwohlsein/Unbehagen (kommt vor allem bei Katzen vor) oder infolge Konditionsabbau verursacht der Enophthalmus tief liegende Bulbi und einen Nickhautvorfall, ist aber häufig eine vorübergehende Erscheinung. Ist der Enophthalmus jedoch die Folge eines Schwundes der Kaumuskulatur nach einer Muskelentzündung der Kopf-/Kaumuskulatur (z.B. Myositis eosinophilica; Prädisposition: Deutscher Schäferhund), liegt die Kopfhaut im Bereich des Schädeldachs direkt auf dem darunter zu fühlenden Knochen. Der Augapfel ist tief eingesunken und in der Regel sind auch ein starker Nickhautvorfall und teilweise sogar ein sekundäres Einwärtsrollen der Unterlider (sekundäres Entropium) vorhanden. Ein solches Auge ist dann meist wegen der vorgefallenen Nickhaut funktionell eingeschränkt. Die Irritation des Bulbus und der Adnexe kann ausserdem zu einer erhöhten Tränen- oder Schleimproduktion führen.
Erkrankungen der Augenumgebung (periorbita)
Angeborene und erworbene Erkrankungen, welche die äusseren und inneren Strukturen der Augen primär nicht betreffen, aber durch ihr Fortschreiten sekundär die Sehkraft oder sogar bei ungünstigem Verlauf, die Existenz des gesamten Auges in Frage stellen können.
Traumatische Ursachen
Stumpfe und scharfe mechanische Einwirkungen auf den Kopfbereich (Autounfall, Beisserei, Schlag, Sturz usw) können Strukturen der unmittelbaren Umgebung der Augen involvieren. Auch wenn primär keine Strukturen des Auges selbst betroffen zu sein scheinen, können sich Stunden oder Tage später fortgeleitete Erkrankungen der Bindehaut, der Hornhaut oder des inneren Auges manifestieren (Konjunktivitis, Keratitis, Uveitis, Linsenerkrankungen, neurologische Ausfälle).
Diagnostik
Dazu gehören bei traumatisierten Patienten die sorgfältige Untersuchung der äusseren und inneren Anteile des Auges, das vorsichtige Abtasten der Augenumgebung und ev. die Messung des Augeninnendrucks. Ergänzende Untersuchungen sind Ultraschall, Röntgen und ev. CT/MRT.
Horner’s-Syndrom
Das Horner-Syndrom kommt durch Läsionen der sympathischen Nervenfasern des Hirnstammes, des oberen Rückenmarks, des Oberarmnervengeflechts (Plexus brachialis) oder der peripheren prä- oder postganglionären sympathischen Nervenfasern zu Stande. Die Ursachen sind neben den angeborenen Missbildungen und Entzündungen meist unbekannte mechanische Irritationen, z.B. kann plötzliches, ruckartiges Ziehen an der Leine zu einem postganglionären Horner-Syndrom führen.
Bei der Katze kommen im Rahmen der Leukose oder bei Lymphomen Neubildungen am Brusteingang oder im Mittelfellraum (Mediastinum) als Ursache in Betracht.
Zu den hervorstechenden Symptomen gehören u. a. einseitiger Enophthalmus, Vorfall des dritten Augenlides, enge Pupille und Herabhängen des Oberlides (Ptosis).
Im Falle einer postganglionären Läsion ist von einer günstigen Prognose auszugehen, wobei die Symptomatik jedoch oft erst nach 1–6 Monaten verschwindet. Handelt es sich um eine mehr zentral gelegene Läsion ist Prognose vorsichtig.
Exophthalmus/Proptosis
Ein über die Lidspalte unnatürlich hervorstehender, ggf. auch vergrösserter Augapfel, der durch Druck von hinten (retrobulbärer Prozeß, Trauma, Phlegmone/Zellulitis, Sinusitis, Fremdkörper, exzessiver orbitaler Fettpolster, Neoplasie) oder Augapfelvergrößerung (Panophthalmitis, Hydrophthalmus bei kongenitalem oder sekundärem Glaukom) entstanden ist. Wenn eine frühzeitige Therapie einsetzt, kann, je nach Ursache, eine Möglichkeit zum Erhalt des Auges oder sogar der Sehkraft, in Abhängigkeit von der sekundären Schädigung auch innerer Augenstrukturen, des erkrankten Auges bestehen. In vielen Fällen muss mit dem Verlust des Augapfels gerechnet werden.
Entzündungen (Degeneration oder auf Autoimmunprozessen beruhende Erkrankungen des Kaumuskulatur) führen zu einer Schwellung, die mit einer Maulsperre vergesellschaftet sein kann. Im akuten Stadium liegen Schmerzhaftigkeit, Exophthalmus und Nickhautvorfall als Symptome vor. Meist führen diese Veränderungen letztendlich zu einer subakuten oder chronischen Muskelatrophie, Enophthalmus und Nickhautvorfall. Prädisponiert sind offensichtlich große Hunderassen und besonders der Deutsche Schäferhund (Myositis eosinophilica).
Zu den zahlreichen Ursachen für retrobulbäre Schwellungen zählen auch sehr selten auftretende Krankheiten wie z.B. eine zystische Schleimansammlung (Mukozele) der Ausführungsgänge einer infizierten Speicheldrüse (Glandula. zygomatica).
Beim Hund sind die wichtigsten Ursachen für die Entstehung retrobulbärer Entzündungen das Eindringen von Fremdkörpern, z.B. Holzsplitter, die bei Spielen mit Stöckchen im Maul durch den Orbitaboden eindringen. Diese Entzündungen können diffus (Zellulitis) oder aber auch als lokal begrenzte Abszessbildung manifest werden. Katzen neigen sehr viel weniger zur Ausbildung retrobulbärer Entzündungen (gelegentlich im Anschluss eines Kampfes).
Klinisch kann zwischen Neoplasie oder Entzündung häufig nicht unterschieden werden, daher erscheint die generelle Bezeichnung „retrobulbärer Prozess“ zutreffend.
Zu den auffälligsten Symptomen gehören Inappetenz des Tieres, Hervortreten des Augapfels (Exophthalmus) oder eine Verschiebung des Augapfels in eine Richtung im Vordergrund. Auch Schmerzäußerungen beim Gähnen, Fressen, Kauen, Spielen (Ball) und Bellen können beobachtet werden.
Ein auf ein Auge beschränkter Exophthalmus fällt sofort auf. Oftmals besteht gleichzeitig ein Nickhautvorfall. Der Augapfel selbst ist nicht vergrößert, kann jedoch Anzeichen der Verdrängung oder andere Beschädigungen aufweisen. Der erhöhte retrobulbäre Druck lässt meist nur eine beschränkte und sehr schmerzhafte Öffnung des Fanges zu. Der weichen Orbitabodens (hinter dem letzten Molaren des Oberkiefers) weist manchmal auf Verdickungen und/oder Druckempfindlichkeit hin.
Eine sichere Diagnose kann eigentlich nur nach weiterführenden Untersuchungen und/oder Gewebeproben gestellt werden. Zusätzliche Untersuchungen sind z.B. das Erfassen des aktuellen Blutstatus. In vielen Fällen führen leider erst komplizierte und aufwändige Untersuchungen zu einer sicheren Diagnose, die mit einer Allgemeinanästhesie durchgeführt werden müssen (Ultraschall, Dickenmessung und Flüssigkeitsansammlung, Antibiogramm, CT, MRT, Röntgen mit Kontrastdarstellung, Gewebeuntersuchungen).
Welpe mit Strabismus divergens links>rechts (Hydrocephalus) | Strabismus divergens durch Anriss von äusseren Augenmuskeln | Bulbusatrophie nach Panophthalmitis |
Strabismus
In den meisten Fällen eine angeborene, nicht schmerzhafte Schielerkrankung, die (ausser beim Appaloosa, dort ev. zusammen mit Nachtblindheit) nur selten beobachtet wird. In der Regel ist das Schielen funktionell kompensiert und erkrankte Pferde sind unwesentlich bis gar nicht eingeschränkt.
Bulbusatrophie
Bei der sekundären Verkleinerung des gesamten Augapfels handelt es sich um eine erworbene (nicht eitrige) Verkleinerung des Bulbus nach einem Trauma oder in Folge einer schweren intraokulären Entzündung.
Im Gegensatz zur sog. phtisis (eitrige Einschmelzung aller intraokulärer Strukturen) liegt bei der Bulbusatrophie ein langsamer, chronisch fortschreitender Prozess vor.
In beiden genannten Fällen muss man im Endstadium von einer vollständigen Erblindung des betroffenen Auges ausgehen. Da im Endstadium der physiologische Selbstreinigungsprozess der vorderen Augenanteile (Hornhaut, Bindehaut) ausfällt, wird zur Vemeidung chronischer Entzündungsszustände und permanentem Ausfluss der funktionsunfähige Augapfel oft entfernt.
Hauterkrankungen
Viele lokale und generalisierte Hauterkrankungen können direkten und indirekten Einfluss auf die Integrität und die Funktionen der Augen haben. Die meisten Veränderunge an den Augen sind temporär, d. g. sie verschwinden mit dem Abheilen der Hauterkrankung wieder. Besteht eine Hauterkrankung aber sehr lange oder hat sie gravierende Veränderungen am Auge selbst zur Folge, so können auch irreparable Folgen auftreten (z. B. Narbenbildung). welche zu Funktionseinschränkugen/-verlusten führen können.
Diagnostik
Zu den dermatologischen/internistischen Untersuchungen kommen in der Regel Abstriche und ev. Hautgeschabsel für die Laboruntersuchung. Wichtig ist die sorgfältige Untersuchung der Augen im Hinblick auf Gewebsverklebungen /verwachsungen und zwischen Lidern/Bindehaut und Hornhaut, das diese ggf. irreversibel sind, wenn sie längere Zeit bestehen. Wichtig ist auch die Messung der Tränenproduktion (Schirmertest) um sicherzustellen, dass ausreichend Tränen vorhanden sind.
Therapie
Im Vordergrund steht die Therapie der Grunderkrankung. Hier kommen entsprechende systemische und topische Medikamente zum Einsatz. Parallel dazu sollten die Augen mit geeigneten! Spüllösungen regelmässig gereinigt werden. Antibiotische Augensalben bei eitrigen Prozessen der Lider/Bindehaut/Hornhaut müssen mehrmals täglich verabreicht werden. Zusätzlich können desinfizierende Augensalben hilfreich sein. Tränenersatzprodukte (Hyaluronsäurepräparate) können unterstützend über längere Zeit bedenkenlos gegeben werden. Nach Rückgang der primären Symptome kann eine Spülung der Tränenkanäle angezeigt sein.
Zahnerkrankungen
Erkrankungen der Backenzähne (massiver Zahnstein, Zahnfrakturen, Zahnwurzelabszesse) und des Zahnfleisches (Paradentitis und Paradentose) im Oberkiefer sowie eingespiesste, wandernde Fremdkörper im Oberkiefer können die Ursache für Phlegmonen und Abszessbildungen im Bereich der Augenhöhle werden. Der Abstand der Zahnwurzeln des Reisszahnes von der knöchernen Augenhöhle beträgt beim Hund nur wenige Millimeter.
Diagnostik
Bei chronischen Erkrankungen des Auges ohne erkennbare Ursache im Bereich des Auges selber muss immer die Maulhöhle kontrolliert werden. Nicht selten findet man die Ursache für eine primär nicht zu erklärende Augenerkrankung im Bereich hinter den Backenzähnen des Oberkiefers. Eingespiesste Fremdkörper, Verletzungen und Fisteln in diesem Bereich stehen u. U. in ursächlichem Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen der Bindehäute oder sogar des inneren Auges auf der selben Seite. Neben der klinischen Untersuchung (fast immer ist eine Narkose erforderlich!) können Röntgenaufnahmen und/oder ein CT/MRT bei der Abklärung hilfreich sein.
Therapie
Wurde ein fortgeschrittener entzündlicher Prozess diagnostiziert, ist immer eine chirurgische Therapie anzustreben. Dabei können in Narkose ev. vorhandene Fremdkörper entfernt werden, Abszesse gespalten werden oder Drainagen eingelegt werden. In vielen Fällen muss auch ein frakturierter oder entzündeter Backenzahn, der als Ursache röntgenologisch identifiziert wurde, extrahiert werden. Eine begleitende antibiotische Therapie ist empfehlenswert, die lokale Behandlung der Augenentzündung darf als Begleitmassnahme nicht vergessen werden.
Tumoren
Tumoren im Bereich rund um das Auge haben ihren Ursprung sehr oft in der Haut oder ihren Anhangsorganen. In seltenen Fällen können auch raumfordernde Prozesse im Bereich der Nasennebenhöhlen zu Problemen am gleichseitigen Auge führen (z. B. Verlegung des Tränen-Nasen-Kanals, Nickhautvorfall, Veränderung der Lidspalte.)
Diagnostik
Gutartige (benigne) und bösartige (maligne) Gewebszubildungen (Tumore) kommen bei Hund und Katze rund um die Augenhöhle vor. Cirka 35% aller Tumore der Haut sind bösartig. Zu den am häufigsten auftretenden Tumoren gehören:
Mastzelltumor
Plattenepithelkarzinom
Melanom
Fibrosarkom
Hämangioperizytom
Weniger häufig treten auf:Kutanes Lymphom
Papillom
Adenom
Lipom
Talgdrüsenadenom/-hyperplasie
Histiozytom
Basalzellkarzinom
Gutartige Tumoren wachsen i. d. R. langsamer, sind meist nicht schmerzhaft und gut verschieblich. Bösartige Tumoren wachsen häufig schneller und sind eher mit den umliegenden Gewebsstrukturen verwachsen.
Tumore können nach folgenden Kriterien beurteilt werden:
Lokalisation
Größe
Verschieblichkeit
Vorhandensein von Ulzerationen
ggf. Vorhandensein von Juckreiz
Für die Entscheidung zur Operation kann eine Gewebeuntersuchung entscheidend sein. Eine einfache, schnelle und in den meisten Fällen ohne Narkose durchführbare diagnostische Maßnahme ist eine Zellenentnahme mittels Feinnadelaspiration (FNA).
Therapie
Bei der Durchführung einer chirurgischen Massnahme im Bereich rund um ein Auge muss immer berücksichtigt werden, ob durch die Gewebeentnahme Folgen für die anatomische Integrität und die Funktion des Auges auftreten könnten (Verkleinerung der Lidspalte, Unvermögen ein Lid zu bewegen usw). Dementsprechend muss die Operation so gewebsschonend wie möglich, gleichzeitig aber auch so radikal wie nötig/möglich durchgeführt werden. Manchmal ist eine Gewebetransplantation erforderlich, in seltenen Fällen kann es sogar sein, dass die Entfernung eines bösartigen Tumor nur unter gleichzeitiger vollständiger Entfernung des Augapfels möglich ist.